Freitag, 16. Januar 2015

BGH: Rauchverbot auf dem heimischen Balkon grundsätzlich möglich

Der BGH hat heute darüber entschieden unter welchen Voraussetzungen es dem Mieter einer Wohnung verboten werden kann auf seinem Balkon zu rauchen.
Geklagt hatte der Mieter einer darüberliegenden Wohnung wegen der durch das Rauchen für ihn entstehenden Geruchsbelästigung.
Der BGH entschied nun, dass ein Rauchverbot (in Form eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs)grundsätzlich möglich ist, wenn durch das Rauchen eine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbarn zu sehen sei. Der Abwehranspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Dies sei laut BGH anzunehmen, wenn sie auf dem Balkon der Wohnung des sich gestört fühlenden Mieters nach dem Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Menschen nicht als wesentliche Beeinträchtigung empfunden werden.
Ob sich der "durchschnittlich empfindende Mensch" (wer auch immer das sein soll) durch den Rauch gestört fühlt, müsse im Einzelfall entschieden werden.
Zwar sei das Rauchen in Wohnungen grundsätzlich weiterhin erlaubt. Jedoch rechtfertige es nicht die Störung Dritter. Da in diesem Fall zwei geschützte Rechtspositionen aufeinander treffen, wird eine Lösung im jeweiligen Einzelfall in einer Zeitenregelung liegen: "Dem Mieter sind Zeiträume freizuhalten, in denen er seinen Balkon unbeeinträchtigt von Rauchbelästigungen nutzen kann, während dem anderen Mieter Zeiten einzuräumen sind, in denen er auf dem Balkon rauchen darf."

Donnerstag, 2. Oktober 2014

Kunst und Pornographie im Recht

Das Bundesverfassungsgericht genießt weithin den Ruf eine recht liberale Rechtssprechung zu verfolgen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist das Urteil zum Roman "Josefine Mutzenbacher - Die Lebensgeschichte einer wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt", in dem sich das Bundesverfassungsgericht mit Kunst und Pornografie beschäftigten musste.
Bevor auf das Urteil und seine Begründung eingegangen wird, soll an dieser Stelle erst einmal in den Roman als solchen eingeführt werden.

Der Roman Josefine Mutzenbacher

Der Roman erschien erstmals 1906 im Privatdruck in Wien. Der Autor ist unbekannt, vermutet wird jedoch, dass es sich um eine Schöpfung von Felix Salten handelt, der spätere Verfasser der Kinderbuchs Bambi, Vorlage für den bekannten gleichnamigen Walt Disney Film.

Anstatt auf den Inhalt abstrakt näher einzugehen, veröffentliche ich an dieser Stelle stattdessen eine Leseprobe aus ungefähr der Mitte des Buches. Aus Rücksicht auf das sittliche Anstandsgefühl der Leser dieses Blogs, veröffentliche ich keinen Abschnitt in dem, wie in weiten Teilen des übrigen Buches, die sexuellen Erfahrungen der Ich-Erzählerin als Minderjährige beschrieben werden, stattdessen der heimlich beobachtete Koitus der Mutter mit einem Untermieter:

Um die Seiten in voller Größe anzeigen zu lassen, hier klicken.
Es wird schnell deutlich, dass es sich bei diesem Roman um einen mindestens überwiegend pornografisches Werk handelt. Die kinderpornografischen Aspekte sind übrigens strafrechtlich vorwiegend irrelevant, da es sich bei nicht illustrierten Texten um keine Kinderpornografie im Sinne des deutschen Strafrechts handelt (vgl. zuletzt BGH, Az 1 StR 8/13).

Die Vorgeschichte zum Urteil

Nachdem in den 60er Jahren der Roman von von zwei Strafgerichten für unzüchtig erklärt hatten, indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den Roman. 1979 nahm der Rowohlt Verlag Josefine Mutzenbacher in sein Programm auf und beantragte bei der Bundesprüfstelle die Listenstreichung mit dem Argument, dass nach heutiger Auffassung der Roman ein Kunstwerk sei. Die Bundesprüfstelle war der Ansicht, dass der Roman schwer jugendgefährdend sei, da er Kinderprostitution und Inzucht positiv beurteile. Da die Probleme von Pornografie und Inzest nicht künstlerisch verarbeitet würden, sondern lediglich zur Verschärfung des Reizes eingesetzt würden, sei der Roman nicht als Kunstwerk zu begreifen.

Dagegen klagte der Rowohlt Verlag und unterlag in allen verwaltungsgerichtlichen Instanzen. Der Verlag erhob deshalb Verfassungsbeschwerde und hatte Erfolg.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 83, 130)

Das BVerfG ging davon aus, dass nicht bereits die Eigenschaft als Roman ein Werk zur Kunst werden lasse.
Das Werk weiße als Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung die grundsätzlichen Merkmale eines Kunstwerkes auf, in der die Eindrücke, Erfahrungen und Phantasien des Autos verarbeitet wurden. Als Elemente schöpferischer Gestaltung wird die Verwendung wienerischer Vulgärsprache als Stilmittel anerkannt. Im Gegensatz zur Bundesprüfstelle, will das Bundesverfassungsgericht durchaus auch parodistische Elemente bei der Lektüre des Werks festgestellt haben. Das Werk als Ganzes könne als Parodie auf den Entwicklungsroman aufgefasst werden. Ebenso erkennt das Bundesverfassungsgericht in der vulgären und perversen Art der Schilderungen einen Protest gegen eine Erziehung, die zum Ziel die Unterdrückung des Geschlechtlichen hatte. Damit erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass Kunst auch Gegenkultur sein kann.

Exkurs: Der Kunstbegriff des BVerfG als liberales Gegenmodell zum modernen Kulturschaffenden

Die Bundesverfassungsrichter sind Anfang der 90er Jahre bereits weiter gewesen, als heutige Künstler, die wieder den alten Begriff des Kulturschaffenden, der vor allem im Nationalsozialismus und der DDR Verwendung fand, um eben gerade unerwünschte Gegenkultur vom Begriff auszuschließen. Die Selbstbezeichnung als Kulturschaffende seitens vieler Künstler, soll deren Staatstreue hervorheben. Sie versuchen sich in vorauseilendem Gehorsam den jeweils Herrschenden nützlich zu machen, da sie genau wissen, dass ihre künstlerische Existenz vom wohlwollen derer abhängt, die über die öffentlichen Fördermittel entscheiden.
Man kann also sagen, dass der verfassungsrechtliche Kunstbegriff wesentlich umfangreicher ist, als der Kunstbegriff, den viele Künstler für sich selbst in Anspruch nehmen wollen, wenn sie sich, wie heute üblich, als Kulturschaffende bezeichnen.

Der Verhältnis von Kunst und Pornographie

Ein häufig gelesenes Missverständnis über das Mutzenbacher-Urteil ist die Annahme, dass auch Pornografie Kunst sei. Dies hat das Bundesverfassungsgericht aber nie festgestellt. Wörtlich hat das Bundesverfassungsgericht vielmehr ausgeführt:
"Daß der Roman möglicherweise zugleich als Pornographie anzusehen ist, nimmt ihm nicht die Kunsteigenschaft."
Als zentrale Erkenntnis des Urteils bleibt also festzuhalten: Pornographie ist also nicht grundsätzlich Kunst. Pornographie kann aber durchaus Kunst sein.

Die Kunstdefinition des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG legt wert darauf, dass es keine staatliche Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle hinsichtlich des Kunstbegriffs geben dürfe. Kunst sei demnach formal zu bestimmen. Die Definition, oder eher nicht-Definition, des Kunstbegriffs, ist vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 67, 213 "Anachronistischer Zug" entwickelt worden. Danach kann es keinen einheitlich geschlossenen Kunstbegriff geben, sondern es sei für jede künstlerische Gattung ein eigener Begriff dafür zu entwickeln, was unter dem Wort Kunst aufgefasst werden könne.

Auch wiederholt das Bundesverfassungsgericht, dass es für die Eröffnung des Schutzbereiches der Kunstfreiheit nicht auf die Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks ankommen dürfe. Dass ein Werk also den sittlichen Vorstellungen der Mehrheitsbevölkerung widerspricht, ist höchstens hinsichtlich der Rechtsfolge, insbesondere der Verhältnismäßigkeit und dem Ausgleich kollidierender grundrechtlich geschützter Interessen im Wege der praktischen Konkordanz relevant.

Conclusio

Das Bundesverfassungsgericht ist hinsichtlich der Definition des Kunstbegriffs stets bemüht diesen möglichst weit zu fassen. Deshalb legt sich das Bundesverfassungsgericht meist nicht positiv fest und hat bis heute keine einheitliche Kunstdefinition festgelegt. Wichtiger sind die Wegmarken, die das Bundesverfassungsgericht dabei setzt, was nicht herangezogen werden darf um einem Werk den Kunstbegriff abzusprechen. 

Dabei setzt sich das Bundesverfassungsgericht bewusst der Tradition der Reichsschriftsumskammer wie auch der Zensurbehörden des Kaiserreichs entgegen, die Kunst vom ihrem Inhalt her bestimmen wollten und gleichsam einer Qualitäts- und Sittlichkeitskontrolle unterzogen.

Das Bundesverfassungsgericht versucht die Sphäre der Kunst und die Sphäre des Staates so weit wie möglich auseinander zu halten, da es die Rolle der Kunst als Gegenkultur für die dynamische Weiterentwicklung einer freiheitlich verfassten Gesellschaft für absolut notwendig erachtet.

Dienstag, 30. September 2014

Juristische Fragen rund um die Cannabis-Legalisierung

Seit der Cannabis-Legalisierungswelle in den USA wird auch in Deutschland vermehrt über eine Liberalisierung der Drogenpolitik, insbesondere in Hinblick auf Cannabis, diskutiert. Dieser Artikel soll die rechtlichen Möglichkeiten einer Lockerung oder Beendigung der Cannabis-Prohibition darlegen.

Wie weit reicht die aktuelle Prohibition?

Fast alles was man mit Cannabis machen kann, ist verboten. Strafbar macht sich wer Cannabis anbaut, herstellt, mit ihm Handel treibt, es, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt, veräußert, abgibt, sonst in den Verkehr bringt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft, besitzt, verabreicht, für es wirbt, die Gelegenheit zum unbefugten Erwerb oder Konsum verschafft oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zum Konsum auffordert. Strafen bis zu 5 Jahren Gefängnis können für einen Verstoß verhängt werden.

Wer aufmerksam gelesen hat, wird festgestellt haben, dass der Konsum selbst nicht verboten ist. Wer also völlig bekifft vor einen Streifenwagen stolpert, hat nichts zu befürchten solange er kein Cannabis dabei hat. Selbstverständlich sollte man auch davon absehen Angaben zu machen, die über die Informationspflicht des Bürgers gegenüber dem Polizeibeamten hinausgehen. Da der Konsum selbst nicht strafbar ist, aber alles was damit im Zusammenhang steht, kann der Delinquent durch weitere Angaben quasi nur verlieren.

Auch wenn das Kiffen ohne Besitz etwas Fantasie benötigt, kann gemäß dem Grundsatz in dubio pro reo nicht vom Konsum auf den vorangegangenen Besitz geschlossen werden.

Der bloße Konsument macht sich zwar nicht strafbar, allerdings macht sich strafbar, wer anderen einen Raum zum Konsum zur Verfügung stellt, auch wenn man selber weder Cannabis besitzt noch konsumiert.

Die Legalisierung in den USA



  Cannabislegalisierung
  Medizinisches Cannabis und Entkriminalisierung
  Medizinisches Cannabis
  Entkriminalisierter Cannabisbesitz
  Totale Cannabisprohibition
Oftmals wird in der hiesigen Debatte auf die Legalisierung in den USA Bezug genommen. Während die gesundheitspolitischen und steuerlichen Argumente meist unproblematisch auf die Situation in Deutschland übertragen werden können, sieht das mit den rechtlichen anders aus. In den USA besteht bisher die Situation, dass einzelne Staaten Marijuhana teilweise oder ganz legalisiert haben, wohingegen es auf Bundesebene weiterhin verboten ist.
In mehreren deutschen Bundesländern haben sich mittlerweile Initiativen nach amerikanischem Vorbild gegründet, die Teils über Petitionen aber auch über Volksabstimmungen eine Cannabis-Legalisierung in ihrem jeweiligen Bundesland vorantreiben wollen. Doch...

... geht das überhaupt?

Ähnlich wie die Bundesrepublik sind die Vereinigten Staaten föderal aufgebaut. Das heißt sie besteht aus teilsouveränen Staaten im Sinne des Völkerrechts. Diese teilsouveränen Staaten zeichnen sich dadurch aus eine eigene Verfassung zu haben, ein eigenes Parlament, Regierung, Verwaltung, Justiz, Polizei usw. Im Gegensatz zu einem sogenannten Zentralstaat wie beispielsweise Frankreich, kommt den einzelnen Bundesländern nicht nur ein erheblicher Entscheidungsspielraum im Vollzug von Gesetzen zu, sondern Sie können auch eigene Gesetze erlassen.

Gesetzgebungskompetenzen der Länder

Betäubungsmittel fallen nach Art 74 Abs. 1 Nr. 19 GG in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Ebenso nach Art 74 Abs. 1 Nr. 1 GG das Strafrecht. Die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis ist durch den Bund abschließend geregelt. Eine Abweichungskompetenz i.S.d. Art 72 III GG haben die Länder in diesem Bereich nicht. Das heißt, die Länder können schon mal nicht von sich aus das Betäubungsmittelrecht ändern, oder selbstständig die vom BtMG angeordneten Strafen für den Umgang mit BtM verringern oder abschaffen.
Da es sich bei den einschlägigen Btm-Verboten um Strafvorschriften (und nicht nur um Ordnungswidrigkeiten) handelt, gilt für die Polizei und Staatsanwaltschaft das sogenannte Legalitätsprinzip. Das heißt die Polizei und die Staatsanwaltschaft sind verpflichtet zu ermitteln, wenn sie von einem entsprechenden Delikt Kenntnis erlangen. Das Legalitätsprinzip hat seinen Hintergrund in der StPO, die Bundesrecht ist, von dem die Länder nicht abweichen können.
Würde ein Bundesland versuchen gesetzgeberisch in der oben genannten Weise tätig zu werden, kann die Bundesregierung im Wege eines Bund-Länder-Streits vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Bundesland klagen. Das BVerfG hat zwar keine eigenen Vollzugsorgane, aber es kam bisher noch nie vor, dass sich ein Bundesland einem Urteil des BVerfG widersetzte.
Drüber hinaus kann die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats im Rahmen der Bundesaufsicht gemäß Art. 83, 84, 37 GG in gewissen Umfang auf die Länder und ihre Behörden einwirken, wenn das Land sich nicht den Gesetzen des Bundes gegenüber loyal verhält. Dass Land kann sich gemäß Art. 83 III 2 GG dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht zu wehr setzen, das dann quasi letztinstanzlich darüber zu entscheiden hat.
Es bleiben noch die Vollzugsrichtlinien zum BtMG. Diese sind Ländersache und geben der Strafrechtspflege und der Polizei konkrete Anweisungen wie das BtMG zu vollziehen ist. Beispielsweise werden Begriffe wie "geringe Menge" dort definiert, unter der das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt werden kann. Allerdings gibt es ein Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1994, das die Vorgabe macht, dass aus Gründen des Gleichheitsgrundsatzes, der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Rechtsordnung die Länder ähnliche Vollzugsrichtlinen schaffen müssen (so musste Bayern seine geringe Menge erhöhen, Berlin seine Grenzwerte verringern, da diese um das 10-fache divergierten). Die Möglichkeit für die Länder bezüglich der Strafverfolgung von BtM-Delikten ist also nicht nur durch das oben genannte Legalitätsprinzip der StPO beschränkt, sondern auch durch den Gleichheitsgrundsatz bezüglich der Vollzugsrichtlinen.
Der Spielraum der Länder ist also recht bescheiden. 

Im Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch und Nebengesetzen sind die Grenzwerte in einer Tabelle zusammengefasst:
Da die Richtlinien zur Anwendung des § 31 a I BtMG von den Ländern jederzeit geändert werden können, ist es schwierig eine solche Tabelle auf dem aktuellen Stand zu halten. Obwohl diese Tabelle aus der aktuellen Auflage des MüKo ist, bestehen in NRW und Rheinland-Pfalz mittlerweile wieder Grenzwerte von 10 Gramm für Cannabis.


Bundesrecht

Der Bund hat, wie oben angemerkt, die Kompetenz die Rechtslage hinsichtlich Betäubungsmitteln und den entsprechenden Strafvorschriften zu ändern.
Der Besitz, Verkauf, Anbau usw. wird durch das BtMG geregelt. Entsprechende Strafvorschriften sind in §§ 29 ff. BtMG aufgeführt. Für eine Änderung der Strafvorschriften oder zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für Ausnahmegenehmigungen ist ein Parlamentsgesetz notwendig.

Änderung der Rechtslage durch die Bundesregierung

Substanzen die dem BtMG unterliegen sind in den drei Anlagen zum BtMG aufgeführt. Diese werden von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung erlassen und ergänzt. Im BtMG selbst werden keine Substanzen genannt, sondern auf die Anlagen Bezug genommen, in der die Stoffe in Kategorien aufgeteilt sind. Eine Rechtsverordnung hat den Vorteil, dass sie schneller und einfacher erlassen werden kann als ein Parlamentsgesetz. 

Die Streichung von Cannabis aus dem BtMG durch die Bundesregierung

Cannabis komplett aus dem BtMG zu streichen könnte also theoretisch bereits durch die Bundesregierung selber veranlasst werden. Allerdings unterläge Cannabis dann gar keiner Kontrolle mehr und könnte ohne Beschränkungen hergestellt und Verkauft werden. Es gäbe wohl sehr schnell Marijuhana-Zigaretten von Phlipp Morris und in Supermärkten könnte es 100-Gramm-Weise in der Familienpackung abgegeben werden. Da auch dann lediglich die Mehrwertsteuer fällig werden würde, wäre damit zu rechnen, dass Deutschland aufgrund sehr niedriger Preise zu einem Mekka für Cannabis-Konsumenten werden würde. 

Dass mit einer solchen Entscheidung der Bundesregierung nicht zu rechnen ist, dürfte sich selbst für optimistische Legalisierungsbefürworter aufdrängen. Daneben bestehen aber auch hinsichtlich der vom BVerfG aufgestellten "Wesentlichkeitstheorie" Bedenken. Danach hat der Gesetzgeber, also das Parlament, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und darf diese nicht auf die Exekutive "abwälzen". Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Exekutive nicht wesentliche Änderungen an einem Gesetz durch Verordnung vornehmen darf, auch wenn sie formell dazu berechtigt wäre. Da es sich bei Cannabis um den strafrechtlich relevantesten Stoff im BtMG handelt, wäre eine Streichung aus dem Anhang des BtMG eine wesentliche Änderung der Rechtslage, die vor dem BVerfG mit Hinsicht auf die Gewaltenteilung und den Vorbehalt des Gesetzes nur schwerlich Bestand haben dürfte.

Die Verschiebung von Cannabis in eine andere Kategorie

Zur Zeit wird Cannabis in der Anlage III des BtMG geführt. Damit gelten die strengsten Beschränkungen für diesen Stoff. Um Cannabis für medizinische Zwecke einfacher zugänglich zu machen, würde die Verschiebung in eine andere Kategorie (Anlage I oder II) bereits beitragen. Jedoch wären der Verschreibung damit immer noch hohe Hürden gesetzt, da Ärzte ungerne die mit viel Verwaltungsaufwand verbundenen sogenannten BtM-Rezepte ausstellen und lieber auf zum Teil stärkere aber einfacher zu verschreibende Medikamente zurückgreifen, z.B. Tramal.
Eine Legalisierung im Sinne eines recreational use, wäre damit aber nicht verbunden.

Änderung der Rechtslage durch den Bundestag

Es bleibt somit nur die Möglichkeit, dass die Rechtslage bezüglich Cannabis durch den Bundestag per Gesetz geändert wird. 

Um Cannabis zu legalisieren wäre eine Streichung aus dem BtMG erforderlich, da innerhalb des bestehenden BtMG eine Legalisierung nicht möglich ist. Zeitgleich müsste ein eigenes Cannabis-Gesetz geschaffen werden, das entsprechende Vorschriften zu Anbau, Verkauf, Besitz, Werbung, Jugendschutz, Straßenverkehr, Arbeitssicherheit etc macht.

Internationales Recht

Während verfassungsrechtlich bezüglich einer Cannabis-Legalisierung keine Bedenken aufkommen, steht das internationale Recht der Legalisierung diametral entgegen. Das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961, im wesentlichen ergänzt durch das Zusatzprotokoll von 1971, verbietet den Umgang mit Drogen international. Fast alle Staaten der Welt sind diesem Abkommen beigetreten und haben sich verpflichtet den Umgang mit Drogen innenpolitisch zu verbieten und international zu ächten. Ausgenommen von diesem Abkommen sind die sogenannten Volksdrogen Alkohol, Zigaretten und Kaffee. Diese Drogen wurden damals nicht aufgrund ihrer geringen Gefährlichkeit oder anderen sachlich-medizinischen Gründen ausgenommen, sondern da ein Drogenverbot nicht durchsetzbar gewesen wäre, das die typischen Lieblingsdrogen des christlichen weißen Mannes umfasst. 

Nichtsdestotrotz ist die Bundesrepublik durch die Ratifizierung des Abkommens an dieses gebunden. Würde sich die Bundesrepublik nicht daran halten, würde sie sich zuallererst eine Rüge des Präsidents des internationalen Suchtstoffkontrollrates einfangen, wie das bereits die USA aufgrund der Legalisierung in Washington und Colorado tat. Ein Bruch internationalen Rechts wird zwar international weitestgehend folgenlos bleiben, da kein anderer Staat ein Interesse haben dürfte die BRD mit Sanktionen wegen Nichteinhaltung zu bestrafen, allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht mit Verweis auf die völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes dem Gesetzgeber einen Strich durch die Rechnung machen, wenn er vor Single Convention on Narcotic Drugs zu starke Abweichungen machen würde.

Rechtsvergleichende Perspektiven

Wie oben festgestellt, ist das amerikanische Modell in Deutschland aufgrund der staatsorganisatorischen Unterschiede nicht anwendbar.

In den Niederlanden wurde Cannabis bereits in den 70er Jahren liberalisiert. Entgegen anderlautender landläufiger Annahmen ist Cannabis in den Niederlanden aber nicht legal. Das Gesetz, das Cannabis liberalisierte firmierte unter Gesetz zur Vereinfachung der Polizeiarbeit und legte gesetzlich fest unter welchen Bedingungen die Polizei den Umgang mit Cannabis nicht verfolgen soll. 

Nicht verfolgt wird der Kauf zum Eigenbedarf von maximal 5 Gramm. Genauso der Anbau von bis zu 5 Pflanzen zum Eigenbedarf. Ebenfalls nicht verfolgt wird, wer Cannabis verkauft und dafür vom Bürgermeister eine entsprechende Genehmigung erhalten hat. Desweiteren darf nicht zeitgleich Alkohol ausgeschenkt werden. Außerdem ist Werbung für Marijuhana verboten, genauso wie eine Abgabe an Minderjährige. In einem sogenannten Coffeeshop dürfen maximal 500 Gramm bevorratet sein. 

Sowohl der Coffeeshopbetreiber als auch der Zulieferer machen sich bei Anlieferung der Ware an der Hitnertür strafbar. Es gibt keine gesetzliche Anweisung gegenüber der Polizei den Hintertürhandel nicht zu verfolgen. Theoretisch könnte die Polizei einen Coffeeshopbetreiber also jederzeit verhaften, wenn sie nur ein paar Stunde den Laden observieren. Genauso verboten ist in den Niederlanden der Anbau von Cannabis in größeren Mengen. Der Verfolgungsdruck in diesem Bereich durch die niederländische Polizei ist nicht gerade gering. Aus diesem Grund werden mittlerweile immer größere Mengen des in holländischen Coffeeshops verkauften Marihuanas in Deutschland, insbesondere dem Land der leerstehenden Fabrik- und Lagerhallen Mecklenburg-Vorpommern, produziert.

Cannabis Social Clubs

Aufgrund der rechtlichen Probleme, die das holländische Modell mit sich bringt, wird immer wieder eine gesetzliche Tolerierung von Cannabis Social Clubs gefordert. Dabei sollen eingetragene Vereine unter bestimmten Voraussetzungen straffrei Marijuhana anbauen und an ihre Mitglieder abgeben dürfen. Zusätzlich soll der Besitz einer geringen Menge zum Eigenbedarf außerhalb der Vereinsräume straffrei sein.

Cannabis Social Clubs ließen sich etablieren, ohne im krassen Widerspruch zur Single Convention on Narcotic Drugs zu stehen, wenn unter den oben genannten engen Voraussetzungen von der Strafverfolgung abgesehen wird, aber ein grundsätzliches Verbot bestehen bliebe. Voraussetzung wäre dafür allerdings ein Gesetz des Bundestages mit Zustimmung des Bundesrates von Nöten.

Conclusio

Versuche auf Landes- oder sogar Kommunalebene eine Legalisierung von Cannabis zu bewirken, scheitern schon aufgrund mangelnder Zuständigkeit - egal ob es sich um eine Petition an den Bürgermeister oder eine Volksabstimmung auf Landesebene handelt.

Eine komplette Freigabe von Cannabis begegnet mit Hinblick auf das internationale Recht einigen Bedenken. Eine Liberalisierung scheint hingegen möglich, könnte aber nur auf Bundesebene beschlossen werden.

Die juristischen Konstruktionen anderer Länder sind auf Deutschland in weiten Teilen nicht übertragbar, es müssen für eine Liberalisierung in der BRD neue eigene Modelle entwickelt werden, die auf das hiesige Rechtssystem angepasst sind.

Sonntag, 17. August 2014

Der Autobahnschützenprozess geht am Montag in die Dritte Runde

Die vorgeworfenen Taten

Dem Angeklagten K. wird vorgeworfen seit 2008 ca. 700 mal auf andere Verkehrsteilnehmer als auch auf parkende Autos geschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hat davon 150 Fälle zur Anklage gebracht.

Außerdem soll er Nagelplättchen hergestellt und auf Straßen verstreut haben.

Die Waffen
Eine russische Militärpistole
vom Kaliber 9 mm Luger 

Eine der verwendeten Waffen ist eine alte russische Militärpistole, Kaliber 9mm Luger, die der Angeklagte
nach eigenen Angaben, von einem russischen Offizier beim Abzug der Roten Armee aus Ostdeutschland gekauft hat. Die andere Waffe, eine .22 Kleinkaliberpistole, bastelte er sich in seiner hauseigenen Werkstatt selbst. Außerdem stellte er Schalldämpfer für beide Waffen her, sowie einen sogenannten Schießkugelschreiber zur Selbstverteidigung.

Die Munition stellte er, zumindest teilweise, ebenfalls selbst her. Aus Schrotpatronen entfernte er das Schießpulver, stopfte es in eine 9mm Hülse, die er mit einen Zündhütchen versehen hatte und verschloss die Hülse mit einem entsprechenden Projektil. Dieses Prozedere wählte er, da eine 9mm Patrone auf dem Schwarzmarkt ca. 1 € kostet, wohingegen man aus den billigeren Schrotpatronen mindestens drei 9 mm-Patronen herstellen könne.

Die Opfer

Hauptsächliches Ziel des Angeklagten waren Autotransporter. Er visierte dabei immer das hintere obere Fahrzeug an, um zu vermeiden, dass andere Verkehrsteilnehmer getroffen werden. Zum Teil schoss er auch auf ihn überholende LKW. Dort schoss er auf die untere Seite der Hintertür, wenn der LKW den Überholvorgang gerade abgeschlossen hatte.

In einem Fall wurde eine Autofahrerin von einem Querschläger am Hals verletzt. Sie schrammte an der Leitplanke entlang, bevor sie das Auto zum stehen brachte.

Außerdem schoss er einmal aus seinem PKW auf parkende Autos.

Durch die ausgelegten Nagelplättchen entstanden keine größeren Sach- und Personenschäden.

Die Ermittlungen

Die Ermittlungen der KriPo, später des BKA, blieben lange erfolglos. Fahndungsplakate brachten genauso wenig, wie ein Aufruf in der Fernsehsendung  Aktenzeichen XY. Auch 100.000 €, die als Belohnung für einen erfolgreichen Hinweis ausgelost wurden, behielt die Polizei letztentlich. Ihr gelang es den Angeklagten durch eine Kombination aus automatischer Kennzeichenüberwachung an Autobahnen und einer Handy-Funkzellenanalyse zu identifizieren. Der Angeklagte war in den wesentlichen Punkten geständig und führte die Polizei zu den Waffen, die sie bei der Hausdurchsuchung übersehen hatten. Diese hingen, in schwarzer Plastikfolie eingewickelt und mit Fleischerhaken befestigt, in einer 1.50 m hohen und 1 m breiten Hecke. Beim Abgehen dieser Hecke hatte die Polizei diese nicht entdeckt.

Die Anklage

Die Anklage lautet, neben Gefährdung des Straßenverkehrs und Verstößen gegen das Waffengesetz, versuchter Mord. Sie stützt sich dabei auf das Mordmerkmal der Heimtücke und bezüglich des Vorsatzes auf das Konstrukt des dolus eventualis.
Anmerkung für Nicht-Juristen: Die Unterscheidung von Mord und Totschlag erfolgt, entgegen landläufiger Meinung, nicht anhand der Frage ob die Tat geplant war. Totschlag ist grundsätzlich einmal jede gewollte Tötung eines anderen Menschen (unabhängig davon ob er jetzt tatsächlich totgeschlagen, erschossen oder vergiftet wurde). Der Totschlag wird zum Mord, wenn ein bestimmter Umstand oder ein bestimmtes Motiv mit dazu kommt. Diese sind in § 211 II des Strafgesetzbuches genannt:
"Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet."
Dass die Tötung heimtückisch war, wäre auf jeden Fall zu bejahen, wenn K. gezielt auf andere Autofahrer geschossen hätte. Diese wären im Augenblick des Angriffs arg- und wehrlos (allgemein anerkannte juristische Definition des Mordmekrmals der Heimtücke). Jedoch hat K. in keinem der 700 Fälle einen Menschen getötet und es ist fraglich, ob er das wollte. K. bestreitet jemals einen Menschen töten oder auch nur verletzen zu wollen. Dafür spricht, dass er stets auf das oberste hintere Auto auf den Autotransportern schoss. Den Querschläger, durch den eine Frau am Hals getroffen wurde, bereute er zutiefst und legte seine Waffen, nachdem er später von dem Vorfall erfuhr, ersteinmal zur Seite.

Die Staatsanwaltschaft argumentiert, er habe den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen, als er auf die Transporter schoss. Die Formulierung etwas billigend in Kauf genommen zu haben benutzen Juristen immer dann, wenn der Täter weder den Unrechtserfolg eines Straftatbestands wollte, noch wusste, ob dieser eintreten wird, der Jurist aber trotzdem einen Vorsatz hinsichtlich des Taterfolgs braucht. Denn jeder Mord und jeder Totschlag setzt Vorsätzlichkeit voraus.

Fällt der Vorsatz weg, bleibt nur fahrlässige Tötung. Vorliegend ist aber kein Mensch getötet worden. Soetwas wie eine versuchte fahrlässige Tötung kann es begriffsnotwendiger Weise nicht geben, denn beim Versuch wird der Vorsatz bestraft, der aber nicht zum Taterfolg führte. Bei der Fahrlässigkeit wird hingegen ein Taterfolg bestraft, der nicht von einem Vorsatz getragen war. Damit schließen sich Fahrlässigkeit und Versuch gegenseitig aus.

Die Anklage des Staatsanwalts wegen versuchten Mordes bewegt sich auf sehr dünnem Eis. Dennoch kann der Staatsanwalt nicht allzu tief fallen, denn der geständige Angeklagte erfüllte zweifellos eine ganze Reihe anderer Straftatbestände, die sich einmal quer durch das StGB ziehen.

Die Verteidigung

Die Verteidigung beschränkte sich bisher vor allem auf einen Beweisverwertungsverbotsantrag hinsichtlich der KFZ-Kennzeichenerfassung und der Funkzellenanalyse. Die Ergebnisse beider Maßnahmen sind, neben dem Geständnis des Angeklagten, die wichtigste Stütze für die Anklage der Staatsanwaltschaft. Sollten diese Maßnahmen rechtswidrig gewesen sein, und dies zu einem Beweisverwertungsverbot führen, könnte die Anklage wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen, falls der Angeklagte sein Geständnis zurück zieht...

Samstag, 5. Juli 2014

Deutscher und Europäischer Menschenrechtsschutz

Die Grund- und Menschenrechte in Deutschland zu schützen haben sich mittlerweile gleich drei Gerichte auf die Fahne geschrieben. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Europäischer Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wollen alle die Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat durchsetzen. Zwar betont das BVerfG immer wieder, dass diese drei Gerichte in einem Kooperationsverhältnis zueinander stehen. Allerdings ist das Verhältnis der drei Gerichte zueinander noch in weiten Teilen ungeklärt. Bereits in der Vergangenheit gab es Konflikte zwischen den beiden europäischen Gerichten einerseits und nationalen Verfassungsgerichten andererseits; und es ist noch genug Stoff für zukünftige Konflikte vorhanden.

Nichtsdestotrotz haben alle drei Gerichte eine starke Stellung in unserem Rechtssystem. Insbesondere der EGMR, früher unmöglich für Bürger auf dem Rechtsweg zu erreichen, gewann in den letzten Jahren enorm an Bedeutung. Durch die seit je her starke Stellung des BVerfG im bundesdeutschen Staat, ist der Konflikt zwischen europäischer Gerichtsbarkeit und nationaler Verfassungsgerichtsbarkeit besonders intensiv.

Das Verhältnis der drei Gerichte untereinander, insbesondere in Hinsicht auf die Rechtsschutzmöglichkeit für den Einzelnen, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Einführung: Die drei höchsten Gerichte

Alle drei Gerichte setzen die Erschöpfung des Rechtswegs im regulären Instanzenzug voraus. Im Falle des EGMR setzt das zwingend den Gang vor das Bundesverfassungsgericht voraus.

Das BVerfG, der EGMR und der EuGH sind allesamt keine Superrevisionsinstanzen. Das heißt sie prüfen den Beschwerdegegenstand nicht hinsichtlich aller in Betracht kommenden Rechtsverstöße, sondern nur auf Vereinbarkeit mit bestimmten Grund- oder Menschenrechten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und die EMRK

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet. Lange Zeit war ihre Wirkung äußerst beschränkt. Dies lag vor allem daran, dass der EGMR, der über die Einhaltung der EMRK wachen sollte, kein ständiges Gericht war, kaum Befugnisse hatte und quasi kein Rechtsweg für den normalen Bürger offenstand, der zum EGMR geführt hätte. Der EGMR ist kein Organ der EU. Seine 47 Mitglieder sind identisch mit denen des Europarats. Der Europarat ist eine vergleichsweise lose Organisation der europäischen Staaten, die unabhängig von der EU existiert.

Vertragsstaaten der EMRK

Seit seiner Reform durch das 11. Zusatzprotokoll im Jahr 1998 hat der EGMR enorm an Einfluss dazugewonnen. Er tagt seitdem ganzjährig und ist mit hauptamtlichen Richter besetzt. Vor allem aber verhalf die Einrichtung einer Individualbeschwerde dem EGMR zum Durchbruch. Jeder einzelne Bürger kann gegen eine Verletzung seiner Rechte aus der EMRK durch ein staatliches Organ klagen. Mitglieder des EGMR sind übrigens alle europäischen Staaten außer Weißrussland und dem Vatikan. Mehr als die Hälfte der Verfahren im Jahr 2007 kamen aus Russland, der Türkei, Rumänien und der Ukraine.

Der EGMR ist mittlerweile Opfer seines eigenen Erfolgs geworden. Seit der Aufnahme osteuropäischer Länder Anfang der 90er, der die Einführung der Individualbeschwerde Ende der 90er Jahre folgte, ist der Gerichtshof völlig überlastet.

Beim EGMR kann gegen jedes staatliche Handeln, also Urteile, Verwaltungsakte wie auch Gesetze geklagt werden. Stellt der EGMR die Rechtswidrigkeit eines staatlichen Handelns fest, ist der jeweilige Staat verpflichtet dieses zu korrigieren. Es ist nicht durch das Urteil des EGMR automatisch nichtig.

Auch wenn der Beitritt der EU in Art 6 II S. 1 EUV angekündigt ist, ist die EU selbst kein Mitglied der EMRK. Somit kann ihr Handeln eigentlich nicht an der EMRK gemessen werden. Jedoch begründet der EGMR die Überprüfbarkeit von Unionrecht anhand der EMRK wie folgt:

Jeder einzelne EU-Mitgliedsstaat ist auch Mitgliedsstaat der EMRK. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten an die EU kann er sich seinen Verpflichtungen aus der EMRK nicht entledigen. Daher sind die Akte der EU durch den EGMR überprüfbar, sozusagen als Verlängerung des nationalen Rechts.

Der Europäische Gerichtshof

Der EuGH ist der Gerichtshof der Europäischen Union. Er ist das oberste rechtssprechende Organ der EU. Er hat die Aufgabe letztverbindlich über die Auslegung von EU-Recht zu entscheiden. Er tut dies insbesondere im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (d.h. ein nationales Gericht fragt beim EuGH über die richtige Auslegung von europäischem Recht an) oder des Vertragsverletzungsverfahrens gegen ein Mitgleidsstaat. Individuen können vor dem EuGH eine Anfechtungsklage nach Art 263, 264 AEUV erheben, sofern sie durch ein Handeln eines EU Organs unmittelbar betroffen sind.

Das Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht nahm 1951 seine Arbeit auf und ist seither höchster Hüter der
Verfassung im bundesdeutschen Staat. Letztes Jahr waren 207.651 Verfahren am BVerfG anhängig. Es eröffnet sowohl die Möglichkeit Grundrechtsverletzungen durch Gerichtsurteile zu rügen, als auch Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen.

Konflikte zwischen den Gerichten

Der Streit zwischen Bundesverfassungsgericht und EU

Richter des BVerfG - Letztes Wort in Europa?
Auch wenn sich das Bundesverfassungsgericht nach eigenen Angaben der Europaloyalität verpflichtet fühlt, behält es sich trotzdem das letzte Wort vor. Das Bundesverfassungsgericht ist der Meinung auch Entscheidungen der EU, also auch Urteile des EuGH, anhand des GG überprüfen zu können. Zwar stehe das europäische Recht über den nationalen einfachen Gesetzen, nicht aber über dem Grundgesetz. Das Grundgesetz sei die höchste Quelle der Rechtserkenntnis in Deutschland.

Die Rechtssetzungskompetenz ist in bestimmten Bereichen durch die EU-Verträge auf die EU übertragen worden. Die EU kann damit Recht setzen, das nationalen Gesetzen vorgeht. Es kann aber nicht Vorrang gegenüber dem Grundgesetz beanspruchen. Dies ergibt sich bei wortgetreuer Interpretation auch tatsächlich aus Art. 23 I S. 3 GG. Dort ist vorgeschrieben, dass ein Rechtsakt der EU oder mit Bezug auf die EU nur dann das Grundgesetz in seinem Inhalt berühren darf, wenn die Voraussetzungen einer Verfassungsänderung (d. h. zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat und Buntestag) vorliegen. Daraus lässt sich schließen, dass ein Rechtsakt der EU nicht gegen das GG verstoßen darf – zumindest dann, wenn nicht Bundesrat und Bundestag entsprechend zustimmen. Die beiden deutschen Parlamente stehen somit einerseits unter der EU – und zwar im Hinblick auf die einfachen Gesetze. Andererseits über der EU – in Hinblick auf die Eigenschaft als Verfassungsändernder Gesetzgeber. Nach dieser Logik muss auch das BVerfG als Hüter des Grundgesetzes über der europäischen Gerichtsbarkeit stehen.

Die Richter des EuGH - Die höchsten Richter Europas(?)
Der EuGH ist hingegen der Ansicht, dass es seiner Aufgabe, EU-Recht einheitlich für alle 27
Mitgliedsstaaten zu interpretieren, zuwiderläuft, wenn ein nationales Verfassungsgericht sich vorbehält aus der Reihe zu tanzen. Der EuGH hat deshalb bereits 1964 festgelegt, dass das EU-Recht jeder nationalen Norm vorgeht.

Das BVerfG hat dennoch an seiner Ansicht, Urteile des EuGH notfalls „kippen“ zu können, bisher festgehalten. Allerdings entscheidet das BVerfG meistens EU-freundlich und schließt sich der Meinung EuGH an. Dieses Jahr hat der BVerfG dem EuGH sogar erstmals eine Frage im Rahmen des sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens vorgelegt. Es ging um die Frage ob die EZB, ein Organ der EU, zur eigenständigen Wirtschaftspolitik ermächtigt sei.

Überprüfung von EU-Recht anhand des GG durch das BVerfG

Das BVerfG legte in seiner Solange-II-Entscheidung aus dem Jahr 1986 fest, dass eine Überprüfung von Sekundärrechtsakten der EU nicht anhand des GG erfolgt, sondern anhand des europäischen Primärrechts. Dementsprechend kann ein Gericht, das Zweifel an der Rechtmäßigkeit von EU-Sekundärrecht hat, keine Vorlage vor dem BVerfG nach Art. 100 I GG einreichen, sondern muss diese entsprechend dem EuGH zur Prüfung vorlegen. Dies gilt jedoch nur, wenn der EU-Grundrechtsschutz im wesentlichem dem des GG entspricht. Bleibt der EU-Grundrechtsschutz hinter dem Grundrechtsschutz des GG zurück, kann das Gericht dies darlegen und somit erwirken, dass das BVerfG die Vereinbarkeit einer EU-Norm mit dem GG überprüft.

Das BVerfG hat dabei übrigens den deutschen Gesetzgeber auf seiner Seite. Dieser nahm den zentralen Leitsatz der Solange-II-Entscheidung ins Grundgesetz auf. Nach Art. 23 I S. 1GG sind die deutschen Hoheitsträger verpflichtet an der Verwirklichung der EU mitzuwirken – solange diese einen dem GG im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Die Loyalitätspflicht der deutschen Staatsorgane gegenüber der EU endet also an den deutschen Grundrechten.

Verhältnis von EGMR und EuGH

Der EGMR hat den EuGH als höherrangiges Gericht anerkannt. Ähnlich dem Solange-II-Beschluss des BVerfG hält der EMRK eine Klage hinsichtlich europäischen Rechts nur dann für möglich, wenn kein gleichwertiger Schutz vom EuGH erlangt werden kann.

Spannung zwischen EGMR und BVerfG

Latent im Widerspruch steht die Solange-II-Festlegung des Grundgesetzes mit der Vorschrift des Art 46.I EMRK. Danach verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.

Da die EMRK als über den deutschen einfachen Gesetzen stehend anerkannt ist, ist die Anzahl der vorstellbaren Konflikte allerdings auf wenige Fälle beschränkt. Vorstellbar ist, dass EU-Primärrecht gegen das Grundgesetz verstößt, nicht aber gegen die EMRK. Im Moment ist mir nicht bekannt, dass ein solches Verfahren zur Zeit vor einem Gericht anhängig wäre. Dass die Grundrechte aus GG und EMRK direkt miteinander kollidieren ist nur schwer vorstellbar, da sie von ihrer Ausrichtung her zu ähnlich sind. Jedoch könnte die EU-Primärrecht geschaffen werden (zum Beispiel eine politische Zielbestimmung in den EU-Verträgen), das nicht durch EU-Grund- und Menschenrechte verboten ist, aber gegen ein Grundrecht aus dem GG verstößt.

Außerdem ist vorstellbar, dass ein Sekundärrechtsakt der EU gegen das GG aber nicht gegen EU-Grundrechte oder EMRK verstößt. In diesem Fall würde das Bundesverfassungsgericht den Sekundärrechtsakt für in Deutschland nicht gültig erklären.

Für den Fall, dass ein nationales einfaches Gesetz zwar nicht gegen das GG aber gegen EU-Recht verstößt, ist es nach allen Ansichten rechtswidrig.

Situation in anderen Staaten

In Österreich hat die EMRK den gleichen Rang wie die Verfassung. Da Österreich bisher noch keinen selbstständigen Grundrechtskatalog wie das GG hatte, stellt die EMRK damit die Österreichischen Grundrechte dar. Aufgrund der höheren Stellung der EMRK im Vergleich zur Deutschland, stellen sich die hier aufgeworfenen Fragen in Österreich nicht.

In den Niederlanden, Norwegen und Kroatien ist die EMRK sogar als über allen nationalen Gesetzen stehend, also auch der Verfassung, anerkannt.

In Großbritannien ist die Situation wieder anders. Durch den Human Rights Act von 1998 sind alle staatlichen Organe an die EMRK gebunden. Ausgenommen davon ist das Parlament insofern es gesetzgeberisch tätig wird. Das heißt, im Gegensatz zu Deutschland gibt es zwar kein Gericht, das über der EMRK und anderem europäischem Recht steht, dafür kann sich das Parlament über die EMRK hinweg setzen.

Italien ist im Moment das einzige Land, in dem eine mit Deutschland vergleichbare Stellung von EU-Recht und nationalem Recht gegeben ist. In allen anderen Mitgliedsstaaten der EU, inklusive Großbritannien, ist die Verwirklichung des europäischen Rechts als übergeordnetes Recht schon weiter fortgeschritten.

Warum noch eine neue juristische Zeitung?

Auslöser für die Erstellung dieses Blogs ist das Vorhaben einige wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Laufe eines Jahres zu lesen und zusammenzufassen. Dies tue ich hauptsächlich für mich, respektive für mein Staatsexamen ("Non vitae, sed scholae discimus"). Eventuell wird aber der ein oder die andere diese Zusammenfassungen als nützlich empfinden. Wo es angebracht ist, werde ich mich zwar kritisch mit der Meinung des BVerfG auseinandersetzen. Da ich diese Texte aber im Rahmen der Examensvorbereitung schreibe, werden die Entscheidungen aber vor allem rechtsdogmatisch beleuchtet.

Entscheidungen des BVerfG, denen hier einen Beitrag gewidmet werden soll, sind:

- Die Mutzenbacher-Entscheidung zur Kunst und Pornographie
BVerfGE 83, 130

- Die Mephisto-Entscheidung zur Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht
BVerfGE 30,173

- Die Benetton-Entscheidungen zur Menschenwürde und Pressefreiheit
- 1 BvR 1762/95 und 1 BvR 1787/95 sowie 1 BvR 426/02

- Die Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz über die Abwägung Leben gegen Leben
1 BvR 357/05

- Die "Erfindung" des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung im Volkszählungsurteil
BVerfGE 65, 1

- Zur Verfassungsmäßigkeit des Inzestverbots und Eugenik als legitimes Gesetzesziel laut BVerfG (2 BvR 392/07) in diesem Zusammenhang außerdem die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 1957 über die Verfassungsmäßigkeit des Verbots männlicher Homosexualität 
- BVerfGE 6, 389

- Die Tucholsky-Entscheidung zur Aussage "Soldaten sind Mörder!"
BVerfGE 93, 266

- Der Brokdorf-Beschluss zur Versammlungsfreiheit
BVerfGE 69, 315

- Der Kruzifix-Beschluss über Kreuze in bayerischen Grundschulen
BVerfGE 93, 1

- Das Kopftuchuteil über das Tragen eines Kopftuches im Dienst
 - BVerfGE 108, 282

- Das Apotheken-Urteil zur Einschränkung der Berufsfreiheit
BVerfGE 7, 377

- Der Nassauskiesungsbeschluss über staatliche Enteignung und Entschädigung
BVerfGE 58, 300

- Die Urteile zu den Vertrauensfragen der Bundeskanzler Kohl und Schröder in den Jahren 1983 und 2005
- BVerfGE 62, 1 sowie BVerfGE 114, 121

- Die Entscheidung über Bundeswehreinsätze im Ausland
BVerfGE 90, 286

- Die wichtigsten Entscheidungen des BVerfG zum Europarecht, insbesondere die Solange-Beschschüsse I und II, die Maastricht-Entscheidung und das Lissabon-Urteil

Desweiteren sollen einige Begriffe juristisch erörtert werden, soweit dies nicht im Rahmen der Darstellung einer Entscheidung des BVerfG geschieht:

- Kunst

- Meinung

- Freiheit

- Gerechtigkeit

- Sicherheit

- Religion

- Gleicheit

- Leben

Außerdem werde ich ab und an einige Gedanken zur Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie einfließen lassen. Ich kündige an dieser Stelle schon einmal eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt's Verständnis der Rechtsdurchsetzung sowie eine Einführung in die "Grundlinien der Philosophie des Rechts" von GFW Hegel an.